LYRIK

Von Uladzimir Lobač
Übersetzung: Tina Wünschmann 

 

 
 

* * *
Wie liegen am Ufer des schläfrigen Flusses,
schauen in den schwarzverhangenen Himmel,
suchen Sterne und Zeichen, die zu uns kommen
durch gewollte Berührungen und Küsse
in Zeiten eines relativ fremden Krieges,
den wir aufrichtig abbitten: Verschone uns!
Wenn wir wonnig die Augen schließen,
wird es wahr – und wir sehen nicht,
wie statt Sternschnuppen „Iskander“ fliegen
auf meine Heimat Polazk und dein geliebtes Minsk.

* * *
MARIUPOL

Das dürre Kätzchen
mit den trüben Augen
achtet nicht auf die Kugeln und Detonationen,
es trinkt nur so hastig,
dass die Ohren zucken,
aus der dicken roten Pfütze.

* * *
Wir alle sind zur Hälfte Winter, wir alle sind zur Hälfte Nacht,
Zurechtfinden im Dunkeln ist unser Lieblingssport,
zur Hälfte sind wir gut, zur Hälfte zornig gemacht,
so wissen wir, wo Zuhaus‘ ist, und wo der fremde Ort.

Irgendwann gewöhnen sich die Augen an schwarze Himmelsschwaden,
wenn nötig, geht man tastend, wie die Blinden,
in der rauen Hand des eignen und des fremden Schicksals Faden,
bis wir hinter dem toten Wald die Sonne wiederfinden.

* * *
Nation der mürrischen Pilzesucher,
Verfechter des goldenen Herbstes,
Nation, die niemals lädt Besucher,
Hofbesitzer bar jedes Hofes und Pferdes.

Nation der Gläubigen, die nicht glauben,
weder Gottes schönem Wort, noch den Nachbarn,
die im Winter zwischen Bären und Karauschen
die eisigen Tage zählend ausharren.

Nation der Partisanen, in Wald und Flur,
wahren das Leben ohne Schneid und Popanz,
Nation der Polizisten, guter wie böser Natur,
völlig unabsichtlich, nur für die Bilanz.

Nation der Schweigsamen und Wortlosen,
an der Kreuzung von Wegen und Welten
zerschmilzt die Stimme in Reim und Tosen
ihrer erschossenen Poeten.

* * *
Leuchtet am Himmel keine Sonne,
leuchtet am Himmel auch kein Stern,
dann holen sich den toten grauen Himmel
die Krähen.

Leuchtet im Land kein Licht,
leuchtet im Land keine Seele,
dann holen sich das Land
die toten grauen Leute.

* * *
Wenn jemand aus Belarus anruft,
verliere ich den Faden beim Zuhören,
denn ich lausche den Geräuschen im Hintergrund:
dem Hupen eines Autos vor dem Fenster,
dem Maunzen der Katze in der Küche,
dem Lachen der Kinder…
Mehr als die Neuigkeiten und Streitigkeiten
interessieren mich deine Intonationen,
kaum spürbare Noten deiner Stimme,
die keiner nachmachen kann,
auch nicht die generalste Staatsanwaltschaft.

* * *
Den ewighungrigen Wölfen überlassen oder begraben?
Wie auf seiner warmen Wange noch Schneeflocken tauen …
Hier nützt keine Mitteilung per Messenger oder Telegram,
denn russische sind nicht wie ukrainische Ehefrauen.
Selbst in totaler Finsternis vermagst du Licht zu entfachen,
selbst in totaler Stille vermagst du, dich bemerkbar zu machen,
den getöteten Feind bedeckst du schlicht mit Leinen,
die eigene Wunde lässt du von jeher auf die Ähren weinen.

* * *
Du legst das Wort „Fremde“
ganz unten in die Reisetasche,
bedeckst es mit Witzen und Gelächter,
versteckst es hinter Treffen und Träumen,
hinter gotischen und barocken Landschaften,
litauischen, deutschen und polnischen Cafés,
Museen, Ausstellungen und Konzerten…
Nur an jedem Morgen, wirklich jedem,
ist da der völlig unbekannte Himmel, an dem
Wolken und Schwaden dir ein Puzzle legen
namens FREMDE