LYRIK

 

Von Ludmila Simanionak
Übersetzung: Christine Hengevoss
 
 

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Der Frühling treibt Fetzen vom Müll umher,
hat den Rest der Stille weggewaschen.
Dein Paris gab es nie und gibt es nicht mehr,
verbrannt ist dein Moskau zu Asche .
 
Ein Foto, aus einer Zeitschrift wohl,
an die Wand gepinnt: Endlos weit
ein Weg wie ins Paradies, er verheißt
Erlösung von Schuld und von Leid.
 
Du musst ihn nicht unbedingt gehen:
auch ein Lied fliegt nicht bis ans Ziel:
Bei Vilnius im Wald heult kein Wolf mehr,
der Turmbläser in Krakau bleibt still.
 
Glaub endlich dir selbst, gestehe dir ein,
was du schon in jungen Jahren erkannt:
Dein Paris gab es nie und gibt es nicht mehr,
dein Moskau ist abgebrannt.
 
Moskau, September 2018
 
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An Jubiläen und einfach ohne Anlass
marschieren Denkmäler ein von Osten
mit steinernen Stiefeln über lebendes Gras,
in unseren Köpfen beziehen sie Posten.
 
Sie rammen in Augenblicken der Angst
und Bedrängnis dann voller Tücke,
noch ehe der Krieg begonnen hat,
die Messer gezielt in den Rücken.

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für Ales Puschkin
Unterm Autoverkehr vibriert der Asphalt,
bald schon ergrünen trunken die Bäume.
Der Künstler das frühere Vitebsk malt
und das Vitebsk, das sie erträumen.
 
Die Frau von den Wimpern die Tusche reibt,
um dann blinzelnd die Lebens-Ringbahn zu sehen.
Beim Anblick des seltsamen Hutes bleibt
eine Rathausuhr beinahe stehen.
 
Der erste April stößt die Schallplatte an:
Enttäuschungen, Leidenschaft, Ruhm und Weh.
Hinter verschlossenen Türen dann
die Ausstellung: Heut nicht der Tag, o je!
 
1. April  2019
 
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Vergönnt mir doch bitte, in meiner Trauer
an Väterchen Lenin Kritik zu bekunden:
Warum hast du damals, was ich sehr bedauer,
zwischen Moskau und Minsk nicht fünf Länder erfunden?!

23. Februar 2022